Blitzlichter aus dem Lauf der Zeit
Es wird ja oft behauptet, dass die Schulen heutzutage oft Wissen vermitteln, das längst überholt ist. Man lernt kopfrechnen, obwohl elektronischen Helferlein überall griffbereit sind, der Erlkönig muss auswendig gelernt werden, dabei zaubert das Display des Smartphones die Geschichte in sekundenschnelle herbei. Das ist doch wirklich nicht mehr zeitgemäß, oder?
Noch einen Schritt weiter auf diesem aberwitzigen Irrweg gingen nun die Akteure der musischen Arbeitsgemeinschaften an der Kopernikus-Realschule. Zum 544. Geburtstag des Namenspatrons sollte eben dieser Postkarten von seinen Nacheiferern aus der Kurstadt erhalten, die ihn über die Ereignisse des vergangenen Jahres auf dem Laufenden halten. Postkarten? Die kennen doch nur Leute, die sich auch noch an das Testbild am Sendeschluss erinnern können!
Aber Schüler sind ja geduldig. Also sieht das Publikum zu Beginn der Aufführung, wie drei Schülerinnen im „Raum 2015“ die Bilder des vergangenen Jahres sortieren, die den großen Astronomen auf dem Laufenden halten sollen. Dabei wird schnell klar, dass den wenigen bunten Bildern, die zeigen „Wie schön du bist“ viele in schwarz-weiß gegenüber stehen, die offenbaren, wie Menschen in der Hoffnung „For a better day“ Leib und Leben aufs Spiel setzen und nicht selten scheitern.
Die Aufnahmen sind schnell sortiert, doch wohin damit? Die Adresse von Nikolaus Kopernikus steht ja schließlich nicht im Telefonbuch. Da bleibt dann letztlich nur noch das Reich der Fantasie. Wie ein „Astronaut“ hebt man also ab in die Sphäre der Fiktion. Hier „On top of the world“ gibt es natürlich bunte Fabelwesen, Feen mit weisen Ratschlägen, aber auch Erinnerung an so machen Albtraum. Nichtsdestotrotz ist solch eine bunte Bilderwelt einladend und verlockend. Und wenn alles so schön ist, dann kann man es sich doch wunderbar in seiner ganz persönlichen Traumwelt gemütlich machen? Blöd ist dann nur, dass man dabei das tatsächlich viel spannendere wirkliche Leben verpasst. Also geht´s schlussendlich fix „Back to earth“, um dort das Leben in die eigenen Hände zu nehmen oder eine Antwort zu finden die zentrale Frage des Lebens, die Nickelback so genial einfach formulierte:“Wartest du auf die richtige Entschuldigung oder ein Hinweisschild? Worauf wartest du?“
Zurück auf der Erde geht den drei Protagonistinnen schnell auf, dass man die Postkarten mit den eigenen Eindrücken und Erinnerungen zwar verschicken kann, dass aber die eigene Lebensgeschichte mit all ihren Eindrücken, Gefühlen und eben Bildern vor allem mit dem Herzen aufgenommen und bewahrt werden will.
Mit der dritten Kopernikusrevue „Light on the course of time - Blitzlichter aus dem Lauf der Zeit“ setzen die Schülerinnen und Schüler der Kopernikus-Realschule das Konzept eines musikalisch-tänzerisch dargebotenen Jahresrückblicks fort. Die musischen Arbeitsgemeinschaften rund um die unermüdlichen Lehrerinnen Regina Heinkel, Steffi Haas und dem ambitionierten Schüler Georg Maske als Autor und Regisseur der Rahmenhandlung zeigten wieder einmal, wie unterhaltsam und kurzweilig solch eine fantasievolle und mit viel Liebe zum Detail gestaltete Retrospektive sein kann.
Zusammen mit engagierten Eltern, einer Vielzahl freiwilliger Helfer und gebefreudigen Sponsoren wurde ein Schauspiel auf die Bühne des Kursaals gebracht, das die Bezeichnung Spektakel im besten Sinne des Wortes verdient und das Publikum zu Begeisterungsstürmen hinriss.
Schon die „Fremdenführerinnen“ Antonia Blase, Juliane Hahn, Marlena Münig und Alina Noskow (alle 6m) gewinnen gleich zu Beginn mit ihrem frischen und lebendigen Spiel schnell die Herzen der Zuschauer. Und wie in jedem guten Schauspiel wechseln sich Lachen und Weinen ab oder gehen sogar ineinander über. Möchte der Betrachter eben noch wohlig aufseufzen ob der gefühlvollen Interpretation des Songs „Wie schön du bist“, die Anni Egner (6m) und Jule Ulshöfer (7c) bieten, so wird er schnell in die weniger freundliche Realität zurückgeholt, wenn die ausdrucksstarke Tanz-AG mit einer eindrucksvollen Choreografie zeigt, wie verzweifelt Menschen sein müssen, die nur das Nötigste bei sich haben, wenn sie sich auf den Weg „For a better day“ machen. Der melancholische Alttimbre von Johanna Rost (9c) unterstreicht die nachdenkliche Stimmung dieser Szenerie nachhaltig.
Gleich danach merkt man „es geht ab“, denn Max Fischbeck (9c) schickt zusammen mit dem Unterstufenchor und dem agil, präzise und äußerst lebendig interpretierten Song „Astronaut“ die Akteure ins Reich der Fantasie.
Dazwischen kommt eine beinahe schon lässige „Mitschnipp-Stimmung“ auf, wenn der Lehrerchor den Klassiker „Oh happy Day“ anstimmt, dem Jannik Schurk und Markus Konrad (beide 10c) mit Saxophon und Baritonhorn noch einen extra Kick geben und beweisen, dass „Blech“ zeitlos cool ist.
Daneben erweckt Ann-Sofie Schneider (7c) mit einer anrührend-intensiv getanzten Interpretation den Titel „See you again“ ähnlich zum Leben wie weiland Polina Semionowa Herbert Grönemeyers „Demo letzter Tag“.
Hört man dann Julia Fischer (9a) „Hello“ anstimmen, glaubt man kaum einer Schulaufführung beizuwohnen. Klar, geradlinig und doch mit einer facettenreichen und druckvollen Stimme begeistert sie die Zuhörer mit einem Song, an dem sich schon viele bekanntere Sängerinnen weit weniger erfolgreich versucht haben.
Doch auch die anderen Beiträge überzeugen durch Engagement, Spielfreude und Leichtigkeit, die auf fleißiger und konzentrierter Vorarbeit fußen.
Da steht das von Jens Gundling (10b) und Moira Dehner (10d) sehnsuchtsvoll anrührend interpretierte „Out of my hands“ gleichberechtigt neben dem nervös-fordernden „Alles brennt“, dem Tamara Muras und Lea Landwehr (beide 10e) zusammen mit dem Unter- und Oberstufenchor eine nachdrückliche Präsenz verleihen.
Gänsehautqualität haben sie alle, egal ob Songs wie „Nine crimes“ durch Anna-Joy Desch und Thea Hesslinger (9d) den Zuhörer feinfühlig bezaubern oder Ann-Kathrin Hachtel, Annkahtrin Weber und Lena Ullenbruch (alle 8d) das Publikum beschwingt und lässig auf dem Weg „Back to earth“ begleiten.
Und spätestens wenn alle Akteure von Unter-, Oberstufen- und Lehrerchor gemeinsam mit Isabell Burger (9d) und Denise Ehrmann (9c) die Selbstmotivationshymne „What are you waiting for“ von Nickelback schwungvoll und lebenslustig schmettern, dann erfasst man mit allen Sinnen, dass das Lernen in der Schule viel mehr Facetten umfasst, als Wissen einzupauken und auf Knopfdruck wieder auszuspucken.
Solch eine aufwendige Aufführung ist natürlich nur mit entsprechender Unterstützung einer aufmerksamen und spielfreudigen instrumentellen Begleitung möglich (Susanne Nerger, Markus Münig, 9c; Felix Beitel, 8b; Julius Leber, 8b), die wiederum von der tatkräftigen Unterstützung einer fleißigen Technik-Crew profitiert (Bettina Fischbeck, Steffen Heinkel und das Hausmeisterteam des Kursaals).
Auch OB Udo Glatthaar zeigte sich beeindruckt von den fantasievollen Kostümen, originellen Choreografien und ausgefeilten musikalischen Darbietungen. Da nimmt es nicht wunder, dass die gut 120 Minuten der Aufführung wie im Fluge vergingen und das Publikum erst nach ausführlichen Zugaben den Heimweg antreten wollte.
Übrigens wurde dem aufmerksamen Beobachter schnell klar, dass solche Schulevents nur möglich sind, wenn man ganz altmodisch taschenrechnerpräzise arbeitet und einen Text büffelt, der viel umfangreicher als Goethes Zauberlehrling ist.Vielleicht ist so manche Schulanforderung doch nicht so überholt? Und vielleicht schreibt man aus dem nächsten Urlaub mal wieder eine Postkarte statt einer Textnachricht? Mit einer Prise Fantasie?
Manfred Litwitz